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Gedenken bei gefallenen Soldaten
Rehfelde, den 20. 11. 2017(HGH) Seit 1922 wird der Volkstrauertag als formeller Gedenktag für die Opfer des Ersten Weltkrieges begangen. Die Nationalsozialisten erklärten den Tag zum gesetzlichen Feiertag und deuteten ihn unter dem Namen “Heldengedenktag” zum Anlass für Heldenkult und Kriegsverherrlichung um. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Gedenktag auf den zweiten Sonntag des Kirchenjahres verlegt, um einen klaren Bruch mit der Ideologie der Nationalsozialisten und ihrer Deutung des Gedenktages zu verdeutlichen. In der heutigen Zeit wird am Volkstrauertag den Kriegstoten gedacht und auf eine Zukunft in Frieden appelliert.
Die Gemeinde Rehfelde bittet seit vielen Jahren um die Teilnahme zum Gedenken am Volkstrauertag an der Rehfelder Ruhestätte für gefallene deutsche Soldaten des Krieges 1939 bis 1945. Gestern kamen 20 Bürgerinnen und Bürger bei herbstlich kühlem und windigem Wetter zusammen. Bürgermeister Reiner Donath eröffnete die Gedenkstunde und Gerhard Schwarz erinnerte an Gewaltherrschaft und Tod mit einer Geschichte, die das Leben schrieb. Er trug vor:
„Es ist einen Monat her. Die Teilnehmer einer Veranstaltung im Bürgerzentrum unserer Gemeinde erlebten, wie eine Frau das Wort ergriff und mit ihren Ausführungen die Anwesenden in tiefes Nachdenken versetzte. Ihr Name ist Gisèle Cailloux. Sie ist französische Staatsbürgerin und entstammt einer jüdischen Familie aus Deutschland. Sie berichtete, dass ihre Mutter Hanna Ruth Klopstock 1939 vor der Vernichtung gerettet wurde. Die jüdische Bankiersfamilie Rothschild hatte einen Transport jüdischer Kinder nach Frankreich organisiert. Unter den 132 Minderjährigen befanden sich neben Hanna Ruth auch Rolf Herrmann aus Herzfelde und Norbert Roth aus Bad Freienwalde. Die Mehrzahl dieser Kinder überlebte den Faschismus, oft aber unter unsäglich schweren Bedingungen. Denn der Arm der faschistischen Judenhasser reichte ab 1940 auch bis nach Frankreich und dort bis in dessen unbesetzten Teil. Die Vichy-Regierung beteiligte sich an der Verfolgung der Juden und deren Deportation in die Vernichtungslager.
Nach der Befreiung 1945 begab sich Hanna Ruth Klopstock auf die Suche nach ihren Verwandten in Deutschland. Ihre Hoffnung, noch Überlebende zu finden, war nicht groß. Noch vor ihrer Flucht nach Frankreich war ihr Vater, ein Chemiker in den Deutschen Kabelwerken Fürstenwalde, 1938 im Konzentrationslager Sachsenhausen unter den mörderischen Bedingungen verstorben. Briefen ihrer Mutter Frieda Klopstock entnahm sie, dass ein Großvater 1942 in Theresienstadt ums Leben gekommen war.
Die Mutter, eine kranke Frau, hatte sich in Berlin mehr schlecht als recht durchs Leben geschlagen. Mitte Dezember 1942 schrieb sie klagend der Tochter in Frankreich: „Die Tränen sitzen Gott sei Dank nicht mehr ganz so lose… Und immer wieder muss ich mir sagen: dieses Leben heißt kämpfen; - nicht an Kranksein und sein Herz denken – arbeiten; nicht verzweifeln, nicht etwa träumen und ans Gestern denken – „immer vorwärts“ musst Du streben, nie ermüdet stille stehen – nur dann wird der Allmächtige Dich retten und Dir beistehen… Ich bete täglich zu meinem allmächtigen Gott er möchte mich und Deinen Bruder Werner weiterhin behüten, damit wir dich wiedersehen können, mein Herzchen. Und kommt es anders - wenn nur mein lieber Werner gerettet werden kann! Sorge für ihn, mein geliebtes Kind, und halte dich weiter so tapfer. … Ich werde bis zuletzt um dich kämpfen! In Liebe, ich umarme dich, deine Mutter.“
Anfang Februar 1943 informierte dann Werner, der noch immer Zwangsarbeit auf dem Rittergut Garzau verrichtete, seine Schwester: „Nun muss ich Dir diesmal leider alleine schreiben, da die Mutti, wie ich jetzt erfuhr, seit voriger Woche nicht mehr zu Hause ist. Für mich selbst war das nicht allzu überraschend, denn die Mutti konnte schon einige Zeit vorher damit rechnen.“
Frieda Klopstock wurde am 3. Februar 1943 nach Auschwitz deportiert, wo sie in den Gaskammern erstickt wurde. Zwei ihrer in Berlin lebenden Schwestern wurden im Januar und März 1943 ebenfalls in den Tod nach Auschwitz geschickt. Ein Schwager kam 1944 in Theresienstadt ums Leben.
Werner Klopstock war fast drei Jahre lang Zwangsarbeiter auf dem Rittergut Garzau. Am 1. März 1943 wurde er gemeinsam mit weiteren 1.735 jüdischen Frauen, Männern und Kindern deportiert. Es war derselbe Abgangsbahnhof Berlin-Moabit und dieselbe Wegstrecke nach Auschwitz, die seine Mutter 26 Tage zuvor zurückgelegt hatte. Bei der Ankunft am 2. März selektierte ihn die SS als arbeitsfähig. Anschließend verbrachte sie ihn in das Außenlager Jawischowitz des KZ Auschwitz, wo er in den Steinkohlengruben der Reichswerke „Hermann Göring“ sechs Tage die Woche in den Gruben schuften musste. Sein „normaler“ Arbeitstag begann um 3:30 Uhr und endete um 21:00 Uhr. Schon nach wenigen Wochen Lageraufenthalt war er mit seinem völlig ausgezehrten Körper, kahl rasiertem Kopf und tief eingefallenen Augen nicht mehr wieder zu erkennen. Ganze vier Monate hielt er die Marter des Lagers durch. Sein letztes, aus 43 Worten bestehendes Lebenszeichen an die Außenwelt trägt das Datum vom 18. Juli 1943.
Vor dem Hintergrund dieser ihrer Familiengeschichte und angesichts der jüngsten Rechtsentwicklungen in Frankreich und Deutschland mahnte Gisèle Cailloux mit den Worten von Berthold Brecht: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch."
Lies Galey mit dem Totengedenken und noch einmal Bürgermeister Reiner Donath mit mahnenden Worten beschlossen die beeindruckende Gedenkstunde.
Bild zur Meldung: Gerhard Schwarz - Lies Galey - Kranz der Gemeinde Rehfelde